Chorlinien von artikulatorischer Kultur


ESSLINGEN: Liederkranz lässt mit Mozart-Interpretation der Krönungsmesse in der Frauenkirche aufhorchen

In seiner 1779 geschriebenen Messe C-Dur KV 317, der sogenannten Krönungsmesse, setzte sich die individuelle Schöpferkraft Wolfgang Amadeus Mozarts über liturgische Bindungen hinweg. Eine gleichsam bildhafte Illustration prägt die musikalische Aussage, der Instrumentalpart ist von schillernden Bläserfarben bestimmt, und Chor und Vokalsolisten sind dankbare Aufgaben zugewiesen.Offenbar hat sich der Esslinger Liederkranz in der Probenphase intensiv mit der Mozartschen Meisterschaft der Klangmittel auseinandergesetzt: Man hörte in der Esslinger Frauenkirche eine Interpretation der Messe, die aufhorchen ließ. Rolf Hempel hatte seine Sängerschar hörbar präzise vorbereitet. Die Chorlinien hatten artikulatorische Kultur, waren in der Dynamik detailreich gezeichnet und in ihrem Aufbau logisch inszeniert. Kraftvoll erklangen die Kyrie- und Gloriarufe, der Spannungsbogen wurde von der ersten Note bis zum Schlusston durchgehalten. Doch bei so viel Licht gab es auch Schatten: Im Credo hätte man sich etwas mehr Transparenz der Chorstimmen gewünscht, und die intonatorische Feinabstimmung kann, insbesondere in den Höhenlagen des Sanctus, noch feiner justiert werden. Rolf Hempel löste Mozarts ohnehin nicht ganz strenge Koppelung an den liturgischen Ablauf weiter auf und schob nach dem Gloria einen Sonatensatz des Salzburger Meisters ein, bei dem sich die als Orchester fungierende "Arcademia sinfonica" über weite Strecken instrumental profilieren konnte. Dem Chor trat mit Karolin Leucht (Sopran), Maria Pizzuto (Alt), Christian Wilms (Tenor) und dem Bassisten Thomas Pfeiffer ein homogenes Solistenensemble gegenüber. Daraus ragte die Sopranistin im Agnus Dei heraus. Die schlichte Schönheit der herrlichen Melodie kostete Karolin Leucht mit ihrem schlanken, aber gut geführten Organ spannungsvoll aus - damit machte sie den Mozartschen Klangzauber zum Höhepunkt der Aufführung. Schon eingangs zeigte sich die Sopranistin in Mozarts "Exsultate Jubilate" koloraturensicher. Ihre zunächst noch etwas zurückhaltende Stimme gewann im rezitativischen Mittelteil an Durchschlagskraft und entfaltete sich dann im Finale zu voller vokaler Pracht.Als Bindeglied zwischen die beiden Mozart-Werke hatte Rolf Hempel die Uraufführung eines eigenen Opus gesetzt. Ursprünglich war "Erhebe dich, Gott" als Arie für Bariton und Orgel angekündigt. Doch dann ließ man die Orgel kurzerhand weg. Völlig ohne instrumentale Stütze nutzte Thomas Pfeiffer die Gelegenheit, sein volltönendes Organ in allen Facetten einzusetzen. Er durchschritt tonal und dynamisch weite Räume, glänzte mit expressivem Stimmeinsatz und gab so der Solo-Arie die notwendige innere Spannung.


Rainer Kellmayer


Abschrift aus der Esslinger Zeitung, daher keine Gewähr für Richtigkeit.